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Texas und die ewige Krise des amerikanischen Föderalismus

CHICAGO ‑ Mit der Behauptung, Texas habe das Recht, eine eigene Einwanderungspolitik zu betreiben, auch wenn diese im Widerspruch zum Bundesrecht stehe, hat Texas eine Debatte über den Föderalismus neu entfacht, die so alt ist wie die Vereinigten Staaten selbst. Da sich viele Kommentatoren auf die Vergangenheit beziehen, um ihre Positionen zu rechtfertigen, ist es wichtig, dass die Geschichte richtig verstanden wird.

Der Bürgerkrieg wird von vielen als Analogie und warnendes Beispiel für die heutige Situation angeführt. Der genauere Bezugspunkt ist jedoch nicht der Krieg selbst, sondern die fünf Jahrzehnte des schwelenden Verfassungskonflikts, die dem Krieg vorausgingen. Die Ähnlichkeiten zwischen damals und heute sollten uns allen eine Warnung sein. Die Forderung nach den Rechten der Einzelstaaten ist das, was Thomas Jefferson (1820) als eine „Feuerglocke in der Nacht“ nannte, die die „Totenglocke der Union“ zu läuten drohe.

Am Vorabend des Sezessionskrieges verkündete US-Präsident Abraham Lincoln in seiner ersten Antrittsrede: „Die Union dieser Staaten ist ewig.“ Er hätte aber auch sagen können: „Der Konflikt über die Struktur der Union ist ewig.“ So war es, seit die Verfasser der Verfassung 1787 ihre Feder zur Seite legten.

Zwischen 1815 und 1861, in der so genannten Interbellum-Periode, beherrschten Kontroversen über das Wesen der Union die politischen und rechtlichen Debatten in den Vereinigten Staaten. Die Amerikaner, die unter verschiedenen Regierungen lebten, diskutierten (und stritten) oft darüber, welche Regierung ihnen sagen durfte, was sie zu tun hatten, insbesondere in Fragen des Handels, der Einwanderung und der Sklaverei.

Heute verwenden wir den Begriff Föderalismus, um die Beziehung zwischen den Bundesstaaten und der nationalen Regierung zu beschreiben. Als die Verfassung die amerikanische Version des Föderalismus begründete, war die zugrunde liegende Idee nicht neu. Sie stützte sich auf die europäische politische Theorie und die praktischen Erfahrungen der Kolonisten, die als Untertanen des britischen Empire lebten. Neu war jedoch, dass die Vielschichtigkeit einer Regierung als Ideal und nicht als Mangel betrachtet wurde. Gründerväter wie James Madison sahen in einer Struktur, die „teils föderal, teils national“ war, das beste Mittel, um das Ziel einer „gut aufgebauten Union“ zu erreichen.

Obwohl das Ideal einer föderalen Union überzeugend war, ließen die Gründer den Inhalt offen. Als die Amerikaner zu Beginn des 19. Jahrhunderts begannen, über neue politische Fragen zu diskutieren, die den Föderalismus zu berühren schienen, konnten sie sich nicht auf die Gründer berufen, um klare und eindeutige Antworten zu erhalten. Die Gründer hatten nur eine Idee hinterlassen, über die spätere Generationen selbst nachdenken mussten.

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Es war eine Zeit rascher Veränderungen. In den Vereinigten Staaten kam es zu einer Marktrevolution, als sich die Transport- und Handelsnetze mit dem Territorium des Landes ausdehnten (und indigene Völker und rivalisierende europäische Mächte verdrängten). Während sich die Sklaverei im Süden verfestigte und Kontroversen über ihre Ausdehnung auf die neu hinzugekommenen westlichen Staaten entbrannten, erweiterten nationale Institutionen (wie die Bank der Vereinigten Staaten, die Post und die Bundesgerichte) die Befugnisse der Bundesregierung ‑ und griffen tiefer in das tägliche Leben der Menschen ein. Die Amerikaner des 19. Jahrhunderts sahen sich also mit drängenden Problemen konfrontiert, für die ihre Vorfahren nur eine skizzenhafte Landkarte hinterlassen hatten.

Viele der wichtigsten Verfassungsdebatten der Zwischenkriegszeit waren Auseinandersetzungen darüber, welche Regierung die Kontrolle über sich überschneidende Machtbereiche ausübte. Zudem betrachteten die Amerikaner damals diesen Konflikt als mit der Konzeption des Systems vereinbar. „Es muss vorhersehbar gewesen sein, dass es gelegentlich zu Kontroversen über die Grenzen der beiden Gerichtsbarkeiten kommen würde“, schrieb der Richter William H. Cabell aus Virginia im Jahr 1815, als er sich gegen die Bemühungen des Obersten Gerichtshofs wandte, eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs eines Bundesstaates aufzuheben. „Doch die Verfassung sieht keinen Schiedsrichter vor und hat kein Gericht installiert, das diese Streitigkeiten schlichten könnte.“

Das Argument, dass ein Bundesstaat die Befugnis habe, die Grenzen zwischen seiner Zuständigkeit und der der Bundesregierung selbst zu bestimmen, wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts immer wieder vorgebracht. Am bekanntesten ist, dass South Carolina 1832 zwei Zollgesetze des Kongresses für „null und nichtig“ erklärte und sowohl Staats- als auch Bundesbeamten verbot, diese Gesetze „innerhalb der Grenzen dieses Staates“ durchzusetzen. Dieselbe Verordnung verbot auch Anfechtungen der Nichtigkeitserklärung, die sich auf ein Berufungsverfahren des Obersten Gerichts des Bundesstaates beim Obersten Gerichtshof der USA stützten. Indem sie die Zollgesetze des Kongresses für ungültig erklärte, die Vollstreckung durch die Finanzbeamten verbot und die Überprüfung durch den Gerichtshof untersagte, sollte die Nichtigkeitserklärung den Bundesstaat von allen drei Gewalten der Bundesregierung abkoppeln.

Während der Interbellum-Periode haben die Einzelstaaten immer häufiger ihre Rechte in Anspruch genommen, und zwar nicht nur zur Förderung der Sklaverei. In den 1840er- und 1850er-Jahren beriefen sich die Staaten des Nordens und des Mittleren Westens auf ihre staatliche Souveränität, um sich gegen die Reichweite der Gesetze des Kongresses über entlaufene Sklaven zu schützen. Massachusetts, Pennsylvania und Wisconsin erließen Gesetze zur „persönlichen Freiheit“, um ihre schwarzen Einwohner vor gewaltsamer Verschleppung zu schützen.

Als Reaktion auf das durch Bundesgesetze vorgeschriebene Verfahren zur Auslieferung flüchtiger Personen positionierten sich diese Staaten ausdrücklich als Nichtigkeitserklärer. Bei einer Anti-Sklavenfänger-Massenversammlung im Jahr 1854 in Milwaukee wurde die Gründung einer „Staatsliga“ gefordert, um „unsere staatliche Souveränität, unsere staatlichen Gerichte und unsere staatlichen und nationalen Verfassungen gegen die schamlosen Usurpationen der US-Richter, Kommissare und Marshals zu verteidigen“. In einer gemeinsamen Resolution von 1859 bestand die Legislative von Wisconsin darauf, dass das „legitime Rechtsmittel“ gegen „alle unbefugten Handlungen, die unter dem Deckmantel der Verfassung“ begangen oder zu begehen versucht werden, „eine positive Missachtung“ seitens der souveränen Staaten sei.

Obwohl Kämpfe um die Hierarchie föderaler und bundesstaatlicher Macht im amerikanischen Recht und in der Politik des frühen 19. Jahrhunderts allgegenwärtig waren, gibt es zwei wesentliche Unterschiede zwischen diesen Kämpfen und den heutigen Debatten. Erstens wurden diese Interbellum-Konflikte durch strukturelle Streitigkeiten und Spannungen zwischen den einzelnen Parteien vorangetrieben, während die heutigen Konflikte auf parteipolitischer Voreingenommenheit beruhen.

Zweitens unterschied sich die verfassungsrechtliche Epoche, in der die Auseinandersetzungen der Interbellum-Periode stattfanden, grundlegend von der unsrigen. Lincolns Beharren auf der Ewigkeit der Union prägte die Bedeutung des Bürgerkriegs für ihn, seine Zeitgenossen und alle nachfolgenden Generationen. Zu diesem Zeitpunkt war seine Behauptung jedoch nur eine Hypothese; erst mit der Niederlage der Konföderation im Jahr 1865 wurde sie zur Tatsache. Die Geschichte des frühen 19. Jahrhunderts sollte uns daher als warnendes Beispiel dienen. Die Wiederbelebung von Konflikten, die beinahe zum Auseinanderbrechen der Union geführt hätten, ist eine sehr ernste Angelegenheit.

Deutsch von Andreas Hubig

https://prosyn.org/eROmKQIde